Biografie

Werner Stiefel wurde 1954 in Malchin / Mecklenburg geboren. Nach seiner Ausbildung als Tänzer an der Staatlichen Ballettschule Berlin war er 1972–1989 Tänzer im Ballett der Oper Leipzig, zunächst Gruppentänzer, ab 1979 Solist und ab 1983 erster Solotänzer. Er verkörperte zahlreiche Hauptrollen in klassischen Werken und im modernen Repertoire. 1989 wechselte er ins Tanztheater des Schauspiel Leipzig. Parallel zu diesen Engagements schuf er eigene Choreografien, vor allem seine Kinderstücke sind äußerst beliebt und wurden zum Teil mit über 100 Vorstellungen aufgeführt.

Nach Beendigung seiner Tänzerlaufbahn 1995 übernahm er die Leitung des Abenddienstes im Schauspiel Leipzig, zunächst in der Neuen Szene und ab 2003 im Schauspielhaus und somit für alle Spielstätten des Schauspiels. 2018 wurde ihm nach über 45 Jahren Tätigkeit an den Leipziger Theatern die Ehrenmitgliedschaft des Schauspiel Leipzig verliehen.

Lebenslauf
Portraitfotos / Werner Stiefel privat
Ein Blick hinter die Kulissen von Ballett und Leben
Privatfotos

1986

1986

»Víctor Jara presente« mit Marina Otto, Ballettwettbewerb der DDR in Dessau (1977)

»Víctor Jara presente« mit Marina Otto,
Ballettwettbewerb der DDR in Dessau (1977)

Tägliches Training in der Oper

Tägliches Training in der Oper

Konzentration in der Garderobe (Oper Leipzig 1988)

Konzentration in der Garderobe (Oper Leipzig 1988)

Prinz Désiré in »Dornröschen« mit Angela Philipp (Oper Leipzig 1983)

Prinz Désiré in »Dornröschen« mit Angela Philipp
(Oper Leipzig 1983)

1987

1987

2018

2018

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Lebenslauf

25. Oktober 1954

geboren in Malchin / Mecklenburg als viertes von fünf Kindern seiner Eltern Käthe Stiefel, geb. Peters, und Emil Stiefel

1965–1972

Tanzausbildung an der Staatlichen Ballettschule Berlin (Abschluss Staatsexamen Bühnentänzer)

1972–1989

Tänzer im Ballett der Oper Leipzig

1977

Preisträger beim Nationalen Ballettwettbewerb der DDR in Dessau (für »Víctor Jara presente«, Choreografie: Marion Schurath, Musik: Víctor Jara, und Pas de deux aus »Der Nussknacker« von Peter Tschaikowski, Choreografie: Marius Petipa)

1972–1979

Gruppentänzer (bei Ballettdirektorin Emmy Köhler-Richter)

1979–1981

Solotänzer mit Gruppe (bei Chefchoreograf Dietmar Seyffert)

1981–1983

Solotänzer

1982

Gasttänzer am Deutschen Nationaltheater Weimar (Palemon in »Undine« von Hans Werner Henze)

1983–1989

erster Solotänzer

Seit 1988

parallel eigene Choreografien (u. a. am Opernhaus Halle, Nationale Forschungs- und Gedenkstätten J. S. Bach, Leipzig), freie Produktionen, zahlreiche Gastspiele

1989–1995

Tänzer am Tanztheater des Schauspiel Leipzig (bei Choreografin Irina Pauls), parallel Choreografien für Schauspielinszenierungen, die Ballettschule der Oper Leipzig, Kabarett Pfeffermühle u. a.

Seit 1991

parallel Konzeption und Choreografie von Kinderprogrammen (u. a. am Gewandhaus zu Leipzig und für Musikschule »Johann Sebastian Bach« der Stadt Leipzig), zahlreiche Gastspiele

1995

Beendigung der Tänzerlaufbahn

1995–1996

Trainingsmeister am Tanztheater des Schauspiel Leipzig

1995–2003

Leitung Abenddienst in der Neuen Szene (Spielstätte des Schauspiel Leipzig)

2003–2018

Leitung Abenddienst im Schauspielhaus

27. Mai 2018

Verabschiedung mit einer Gala im Schauspielhaus, Erhalt der Ehrenmitgliedschaft durch das Schauspiel Leipzig nach über 45 Jahren Tätigkeit an den Leipziger Theatern

Seit 1977

Lebenspartnerschaft mit Berndt Stübner, langjähriger Schauspieler im Ensemble des Schauspiel Leipzig, bis zu dessen Tod 2022

Bis heute

Weiterführung der Kinderstücke (innerhalb der Schulkonzerte der Stadt Leipzig)

Portraitfotos / Werner Stiefel privat

Im Ballettsaal der Oper Leipzig (1983)

Im Ballettsaal der Oper Leipzig (1983)

In der Oper Leipzig (1983)

In der Oper Leipzig (1983)

2004

2004

2011

2011

2020

2020

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Ein Blick hinter die Kulissen
von Ballett und Leben

Ein kleiner Junge auf der Landstraße

Wie kommt ein kleiner Junge aus einer kleinen Stadt in Mecklenburg auf die große Bühne eines großen Opernhauses? Es begann zunächst mit einem Zufall, später spielten Fleiß und Energie die entscheidende Rolle. Geboren 1954 in einem »Geburtenhaus« in der Wiesenstraße in Malchin, aufgewachsen in der Wohnung seiner Eltern in der Breiten Straße, Besuch der Pezzalozzi-Schule, viele Besuche bei seiner Tante Lotti, einer Schwester der Mutter im nahegelegenen Dorf Kämmerich. Es begann mit einem Dorfteich in Kämmerich, der im Winter zugefroren war. Werner Stiefel lief dort Schlittschuh, Tante Lotti fiel sein rhythmisches Empfinden auf.

Der Vater Emil Stiefel schickte ihn zum nächstgelegenen Kulturhaus in eine Kindertanzgruppe. Dort lagen Werbeflyer mit Vortanzterminen der Staatlichen Ballettschule Berlin aus. Ein Nachbar aus dem gleichen Ort wollte hinfahren, und Werner Stiefel lockte zunächst nur ein Besuch in der Hauptstadt. Tänzer zu werden, kam dem Zehnjährigen damals nicht in den Sinn. Der Vater fuhr Werner mit seinem Auto nach Berlin, der die Aufnahmeprüfung absolvierte und aufgenommen wurde.

Berühmt ist die Episode, dass er im Internat ein großes Heimweh verspürte und zu den Eltern nach Hause wollte. Der kleine Junge nahm die S-Bahn bis Oranienburg, von dort aus lief er auf der Landstraße zu Fuß noch 15 km bis Löwenberg, hier wurde der Zehnjährige von der Polizei aufgegriffen, die ihn nach Hause brachte. An seine sechsjährige Ausbildung unter Schuldirektor Dr. Albin Fritsch denkt er noch heute gern zurück, besonders auch an die Mitwirkung bei Aufführungen der Staatsoper Unter den Linden, so war er ein kleiner Zinnsoldat im »Nussknacker« und vieles mehr.

Der Umzug der Ballettschule von der Niederlagstraße (Berlin-Mitte nah der Staatsoper Unter den Linden) in die Erich-Weinert-Straße (Prenzlauer Berg) fiel 1969 in die Ausbildungszeit von Werner Stiefel, der nach der Grundschule in Malchin hier die Oberschule mit der üblichen 10. Klasse und das Studium mit Staatsexamen zum Bühnentänzer abschloss.

Eine nächste Episode war nach Studienabschluss ein geplantes Vortanzen am Theater in Rostock, er wollte gern in der Nähe seiner Eltern bleiben. Hier sollte er auf Steinfußboden eine klassische Variation tanzen, was zu gefährlichen Verletzungen führen konnte. Er weigerte sich, die Ballettleiterin schickte ihn verärgert weg und er erhielt einen Verweis der Schule – Werner war einen Tag arbeitslos, doch am nächsten Tag schon meldete sich durch Vermittlung der Ballettschule das Opernhaus Leipzig und er erhielt dort ein Engagement als Gruppentänzer.

Der zusammengebrochene Hirsch

Werner war zunächst so dünn und schwach, dass er als Hirsch in »Aschenbrödel« unter der Last seiner Partnerin in seiner ersten Vorstellung 1972 auf der Bühne zusammenbrach. Er musste erst einmal mehr essen und zunehmen. Noch heute wird das in der
Oper gern erzählt. Viele Jahre später, 1984, war er als Zweitbesetzung (er war immer Zweitbesetzung!) als Romeo in »Romeo und Julia« vorgesehen, die zweite Premiere war in ungefähr 2 Wochen geplant.

Der Tänzer des Romeo kam betrunken zum Dienst und erhielt Auftrittsverbot, die Aufführung sollte in wenigen Stunden stattfinden. Werner wurde alarmiert und auf die Bühne geschickt, ohne Orchesterprobe, ohne Lichtprobe, eine Zumutung. In der Pause bekam er einen Schwächeanfall, die Anspannung war zu groß, er wurde ohnmächtig – und tanzte dann aber doch das Stück zu Ende.

Werner war immer »Notnagel«, Zweitbesetzung, ein zuverlässiger Einspringer, nie wurde für ihn selbst eine Rolle erschaffen, musste immer von anderen übernehmen, dies entbehrt nicht einer gewissen Tragik. Zu dieser Zeit waren die ersten Solisten Norbert Thiel und Hans-Georg Uhlmann am Haus und belegten den Rollentyp von Werner Stiefel. Auch holte man für Premieren oft Gäste aus Berlin, die dann schnell wieder fernblieben.

Doch die Vielfalt seiner Rollen, die er seiner unglaublich starken Ausdrucksfähigkeit, seinem technischen Können, seinem Spieltalent und nicht zuletzt seinem persönlichen Charme zu verdanken hatte, war von enormer Bandbreite.

Ein Höhepunkt war »Dornröschen« 1983, als erster Solotänzer endlich eine Premiere (natürlich die zweite!) mit Proben, Presse und Fotograf, dann in einer nächsten Aufführung Übernahme am gleichen Abend zusätzlich zur Hauptrolle des Prinzen Désiré (der erst nach der Pause auftritt) Einspringen für einen kranken Kollegen als Prinz Fleur-de-Poids (Rosenadagio im 1. Akt) in mehreren Aufführungen. Und im Hochzeitsbild am Ende auch noch Mitwirkung im »Goldregen«, eine Gruppentänzer-Aufgabe, eigentlich ein Unding, drei Aufgaben an einem Abend …

Das Logenkind

Sein Spitzname in seiner Anfangszeit in der Oper war »Logenkind« – er war fasziniert von Musik und Gesang, immer wenn es die Zeit zuließ (auch zwischen seinen Auftritten in den von ihm wenig geliebten Einlagen des Balletts), sah er sich die Opernaufführungen in der Loge der Techniker an. Von Mozart bis Wagner, von Verdi bis Strauss konnte er nicht genug bekommen. Noch heute ist er von Oper fasziniert und fährt gern auch in andere Städte, denn er ist anspruchsvoll bei Sängern, und Barockopern mit Countertenören gilt seine besondere Aufmerksamkeit.

Ballettdirektorin Emmy Köhler-Richter und Chefchoreograf Dietmar Seyffert ab 1979 waren die wichtigsten Persönlichkeiten, unter denen Werner Stiefel sich vom Gruppentänzer bis hin zum ersten Solotänzer entwickelte. Beide hatten Vertrauen zu ihm und er in sie, 17 Jahre lang wurde er von ihnen gefördert und gab seine ganze Kraft für die Arbeit.

Mit der Wende 1989 änderte sich alles – ein neuer Ballettdirektor Enno Markwart wurde berufen, die Chemie stimmte nicht mehr, der Egoismus im Ensemble nahm zu, Werner dachte ans Aufhören. Und der Zufall brachte es mit sich, dass genau in dem Jahr am Schauspielhaus ein Tanztheater gegründet werden sollte – Irina Pauls engagierte ihn und eine neue Epoche begann für sein Leben.

Tanz im Bosehaus

Dann starteten seine choreografischen Ambitionen, mit denen er eigene Choreografien und Kinderstücke neben seiner Tätigkeit als Tänzer entwickelte. Vor allem im Bosehaus am Thomaskirchhof entstanden zauberhafte Kammertanzabende, die im Sommer auch im Innenhof gezeigt wurden. Oft fanden im Juli und August mehrere Abende statt, die immer ausverkauft waren.

Diese schöne Tradition endete Anfang der 90er Jahre, und heute gibt es im Bosehaus überhaupt keinen Tanz mehr, obwohl man mit dem Bachsaal und dem Innenhof über die gleichen Räumlichkeiten verfügt wie damals. Ebenso traurig ist heute die völlige Abwesenheit von Tanz im Gohliser Schlösschen, in der Alten Handelsbörse und im Alten Rathaus. In den Sommerferien haben diese Abende an all diesen Orten eine Lücke geschlossen, immer mit Tänzern der Oper und Gewandhausmusikern, also in hoher Qualität.

Der Tanz ist heute abgedriftet in »Performances«, meist ohne Charme und Können, die natürlich nicht zum Ambiente historischer Stätten passen. Die viele Arbeit im Tanztheater und als Abenddienstleiter ließen für Werner Stiefel eine choreografische Betätigung später leider nicht mehr zu, die Entwicklung der Programme und Kostüme, Proben, Organisation und vieles mehr ist bei einer vollen anderen Tätigkeit irgendwann nicht mehr leistbar.

Einraumwohnung für den Solotänzer

Eine bescheidene Einraumwohnung in Leipzigs Neubau-Stadtteil Grünau war viele Jahre lang das Zuhause von Werner Stiefel, obwohl er schon Solotänzer war. Später zog er in eine größere Wohnung in Schleußig und schließlich in die Innenstadt in die Nähe des Gewandhauses, immer organisiert von seinem Lebenspartner, dem Schauspieler Berndt Stübner, der ein Auto besaß. Werner Stiefel fuhr damals wie heute alles per Fahrrad. Der zweigeteilte Dienst als Tänzer und später die immens vielen Verpflichtungen als Abenddienstleiter ließen kaum Zeit für Interessen. Die volle Konzentration richtete sich immer auf das Training, den Tanz, den Körper, den Beruf.

Sein Vater ließ in Dargun – nahe seines Geburtsortes Malchin in Mecklenburg – auf einem kleinen eigenen Grundstück einen Bungalow bauen, der eigentlich für einen seiner zwei Brüder gedacht war. Werner konnte diesem 1991 den Bungalow abkaufen. Viele Jahre lang verbrachte er hier, meist mit Berndt Stübner, die Sommerwochen. Dank des Autos seines Freundes erfolgten Tagesausflüge nach Rostock, Greifswald, Wismar und in die Umgebung. Auch nach der Wende blieb er Dargun treu. Hinzu kamen nun Reisen in viele Städte Europas, meist mit Freundin Ann-Elisabeth Wolff, vor allem in die Provence und Bretagne, zu den Opernhäusern in Wien, Paris und München. Werner Stiefel liebt bildende Kunst, der Louvre und die Pinakotheken waren und sind bis heute Pflichtprogramm, auch Baden-Baden mit dem Festspielhaus und das Barockfestival im wunderschönen Markgräflichen Opernhaus in Bayreuth.

Dargun jedoch war eng an das Zusammensein mit seinem Lebenspartner Berndt Stübner gebunden, dessen Tod 2022 nach 45 Jahren Gemeinsamkeit eine Tragödie war und ist.

Die Trennung von Dargun ist unausweichlich, und der Umzug innerhalb von Leipzig in eine kleinere Wohnung ist vollzogen – in die Springerstraße im Stadtteil Gohlis, mit großem Balkon und Blick von oben auf die Stadt.

Politik und Mode

Die Verleihung der Ehrenmitgliedschaft des Schauspiel Leipzig 2018 an ihn, verbunden mit dem Ende seiner beruflichen Laufbahn, war ein wichtiger Abschnitt. Er versucht seitdem, sich seiner freien Zeit zu erfreuen, diese mit schönen Dingen zu gestalten und zu reisen. Viel Liebe hat er in die Einrichtung seiner neuen Wohnung gesteckt, diese sehr modern und mit zahlreichen Gemälden ausgestattet.

Die Bescheidenheit von Werner Stiefel braucht keine Besitztümer und keinen Protz. Den Besuch von Ballett, Opern und Museen sowie klassische Musik möchte er nicht missen. Voller Interesse verfolgt er politische Prozesse. Voller Hingabe pflegt er die vielen Blumen auf seinem großen Balkon. Auch Mode findet er spannend.

Und Märchen liebt er sehr, besonders die älteren, verträumten Verfilmungen – vielleicht, eher unbewusst, eine Nachwirkung des Balletts »Dornröschen« von Peter Tschaikowski, in dem er ab 1983 in weit über 100 Vorstellungen den Prinzen Désiré getanzt hat …

Bis heute achtet er auf Bewegung, treibt Fitness, fährt viel Fahrrad, legt Wert auf ein gepflegtes Äußeres und Höflichkeit. Und so hat er sich im Alltag etwas von der Eleganz und der romantischen Ausstrahlung eines Prinzen bewahrt.

Privatfotos

Der legendäre Dorfteich in Kämmerich, auf dem alles begonnen hat

Der legendäre Dorfteich in Kämmerich, auf dem alles begonnen hat

Auf dem Balkon der kleinen Wohnung 1988

Auf dem Balkon der kleinen Wohnung 1988

Mit seiner Mutter Käthe Stiefel ca. 1975

Mit seiner Mutter Käthe Stiefel ca. 1975

Mit den Eltern am Bungalow in Dargun 1990

Mit den Eltern am Bungalow in Dargun 1990

Werner Stiefel an seinem 50. Geburtstag 2004 im Foyer des Schauspielhauses

Werner Stiefel an seinem 50. Geburtstag 2004
im Foyer des Schauspielhauses

Berndt Stübner, Ann-Elisabeth Wolff, Werner Stiefel und Liselotte Wolff (von links nach rechts) am 60. Geburtstag von Werner Stiefel im Schauspielhaus 2014

Berndt Stübner, Ann-Elisabeth Wolff, Werner Stiefel und Liselotte Wolff (von links nach rechts)
am 60. Geburtstag von Werner Stiefel im Schauspielhaus 2014

2024

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Filmportrait

»Werner Stiefel tanzt« (2014) von Berndt Stübner